„Inzwischen bekriegen sich alle“
Präsident Karl-Heinz Wildmoser über die zunehmende Entfremdung zwischen Trainer, Spielern und Fans bei 1860 München
Nach dem 0:6 bei Hertha BSC, der höchsten Niederlage seit 1960, eskalierte die Identitätskrise des TSV 1860 München. Die Spieler werden beschimpft, Boulevardzeitungen veröffentlichen seitenweise Protestbriefe. 1860 hat aus den letzten vier Spielen zwei Punkte und 1:12 Tore geholt, Trainer Pacult wirkt hilflos. Seit langem sinken die Zuschauerzahlen, weil sich die Fans nicht mehr heimisch fühlen. Präsident Karl-Heinz Wildmoser verweist auf die bescheidenen Mittel des Klubs und stellt sich – vorerst noch – hinter Pacult.
SZ: Die jüngste Bilanz ist verheerend; hält der Trend an, käme 1860 in Abstiegsgefahr. Was bewegt Sie, wenn das, was Sie als Ihr Lebenswerk bezeichnen, in Gefahr gerät?
Wildmoser: Es ist eine ganz fürchterliche Lage, geschlafen habe ich in diesen Tagen so gut wie nicht. Der Präsident muss seinen Kopf hinhalten, die Spieler sagen nur: ,Ich hab mein Bestes gegeben.‘ Es war wohl doch nicht so falsch, damals im Oktober, als ich sie Haubentaucher genannt habe.
SZ: Zuletzt in Berlin haben Sie Kritik auch an der Arbeit des Trainers geübt.
Wildmoser: Ich habe nur nicht verstanden, dass er Borimirov nach seiner katastrophalen Leistung von Anfang gebracht hat und nicht unserem Zugang Shao die Chance gab. Aber der Trainer sieht die Spieler halt jeden Tag.
SZ: Peter Pacult wird in der Öffentlichkeit massiver angegangen als je ein Trainer des TSV 1860 zuvor. Wird er am Saisonende noch Trainer sein?
Wildmoser: Bin ich Hellseher? Woher weiß ich, dass er mich nicht anruft und sagt: ,Ich habe die Mannschaft nicht mehr im Griff.‘ Woher weiß ich das?
SZ: Hat er sie derzeit noch im Griff?
Wildmoser: Ich glaube schon.
SZ: Haben Sie noch Vertrauen zu Pacult, man konnte zuletzt den Eindruck bekommen, als gingen Sie auf Distanz?
Wildmoser: Wir haben permanent Kontakt, wie das bei Lorant auch war.
SZ: Pacult bekam als recht junger Trainer die Chance zur Profilierung. Er hat die Mannschaft auf der Stelle radikal umgebaut. Nun beklagt er sich plötzlich, dass ihm drei bis vier erfahrene Spieler fehlen; dabei hatte er selber erfahrene Leute wie Mykland, Zelic und Riseth rausgeschmissen.
Wildoser: Da hatte er doch recht. Zelic wollte auf einmal das doppelte Gehalt, Mykland war in den Diskos rumgehangen und hat sich voll laufen lassen. Gut – dass er jetzt in Norwegen Spieler des Jahres wurde, ist eine andere Sache.
SZ: Pacults Forderung nach neuen Spielern steht im Widerspruch zur den Möglichkeiten des Vereins, der – wie Sie sagen – wirtschaftlich mittelmäßig dasteht. Kann sich 1860 Pacults Anspruchshaltung leisten?
Wildmoser: 1860 kann sich hohe Ansprüche nicht leisten. Neulich hätten wir den brasilianischen Nationalspieler Roger holen können. Doch der war viel zu teuer: eine Million Euro.
SZ: Thomas Häßlers Vertrag wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht verlängert. Wer soll den Spielmacher ersetzen?
Wildmoser: Gar keiner zunächst, Shao muss da erst reinwachsen, und er muss sich auf eine neue Kultur umstellen.
SZ: Sie sagten, in der Mannschaft fehlt einer, der auch mal die Kabinentür eintritt. In der Tat wirkt es, als läge den Fans das Schicksal des Klubs sehr am Herzen, den Spielern hingegen gar nicht.
Wildmoser: In jedem Verein ist es so, dass der Fan bleibt, der Spieler aber wieder geht.
SZ: Die Identifikation der Spieler mit dem Verein war vor ein paar Jahren anders.
Wildmoser: Das war früher auch nicht anders. Drei Viertel der Bundesliga-Klubs haben dasselbe Problem wie wir.
SZ: Drei Viertel haben keineswegs ein solches Problem mit aufständischen Fans. Dabei geht es nicht nur um die aktuellen Proteste, der Zuschauerschnitt sinkt seit Jahren. Und welchen Spieler sollen die Fans ins Herz schließen?
Wildmoser: Benjamin Lauth etwa, oder Simon Jentzsch, auch Markus Schroth. Wir haben ja beliebte Spieler.
SZ: Offenbar nicht genügend, dass sich die Anhänger mit der Mannschaft identifizieren.
Wildmoser: Wir haben zurzeit eine schwierige Phase des Umbruchs. Wir werden bald das Stadion wechseln (FC Bayern und 1860 bauen zusammen bis 2005 die Allianz-Arena, Anm. d. Red.), und Verträge mit Spielern laufen aus. Umso mehr muss in der Mannschaft ein Zusammengehörigkeitsgefühl da sein, der Fan muss sehen, dass wir zusammen halten. Wir hatten schon mal eine Fanspaltung wegen dem alten Stadion. Inzwischen bekriegen sich alle untereinander. Wir arbeiten daran, diesen Zwist zu schlichten.
SZ: Das führt dazu, dass Ihnen nicht nur die bekannte Opposition davon läuft; auch Rentner, Familienväter und Dauerkartenbesitzer verweigern sich jetzt.
Wildmoser: Viele gehen nicht mehr ins Stadion, weil die Fangruppen untereinander heftig Streit haben. Wir müssen wieder eine Familie werden.
SZ: Ist das Ihr neues Konzept, auf die Fans zuzugehen?
Wildmoser: Wir arbeiten seit eineinhalb Jahren daran. Wir gehen mit allen Präsidiumsmitgliedern in Fan-Versammlungen, wir versuchen, sie auf eine gemeinsame Linie zu bringen.
SZ: Sie wollen also wieder eine Familie werden. Auf der anderen Seite sind die Fans in letzter Zeit auch vom Trainer und von Spielern vor den Kopf gestoßen worden. Die Anhänger mussten ja schon glauben, ihre Proteste seien schuld an den dürftigen Leistungen.
Wildmoser: Die Spieler kennen sich mit dem Fan-Problem nicht so aus. Besonders hilfreich waren entsprechende Äußerungen jedenfalls nicht.
SZ: Geschäftsgrundlage für den TSV 1860 war immer der Gegensatz zum FC Bayern. Aus dieser Rivalität speiste sich das Selbstverständnis des Klubs. Jetzt bauen Sie gemeinsam ein neues Stadion, viele Fans haben den vermeintlichen Schmusekurs satt. Braucht 1860 eine neue Ausrichtung?
Wildmoser: Wir spielen schon seit 80 Jahren in einem Stadion mit Bayern. Was soll eigentlich der Vorwurf, der FC Bayern light zu sein? Verlieren wir, heißt es, zu denen kannst du nicht hingehen. Gewinnen wir, heißt es: Ihr seid ja wie der FC Bayern.
SZ: 1860 hatte immer seinen eigenen Mythos: als Verein, in dem man gegen Übermächtige zusammenhält – angeblich war es ein Lebensgefühl. 1860 ist nicht mehr als Gegenentwurf zum FC Bayern zu erkennen.
Wildmoser: Darüber zerbreche ich mir seit Jahren den Kopf. Als Underdog verschwindest du heute früher oder später. Man muss sich am Erfolg orientieren, und dafür arbeiten wir täglich acht Stunden. Doch jeder erwartet, dass wir gegen die Bayern gewinnen. Die Realität sieht so aus: Im Derby wechseln die Sagnol, Ze Roberto und Deisler ein. Die drei beziehen zusammen zwei 1860er-Jahresetats als Gehalt! Die haben uns aufgemischt!
SZ: Sie beklagen sich seit Jahren, dass der Klub ihnen nur Arbeit und Ärger bereitet, wie sehr sie leiden. Dieses Gejammer muss negativ auf die Fans wirken.
Wildmoser: Ich kann nun mal keinen Scheck über 20 Millionen ausstellen und den Deisler holen.
SZ: Aber Sie müssen ja nicht ständig darüber reden!
Wildmoser: Sie stecken ja nicht in unserer Haut! Wir stoßen an gewisse Grenzen. Unsere Situation derzeit ist wirklich fürchterlich. Unser Marketing-Mann hatte nach dem Hertha-Spiel Tränen in den Augen, er hat diese Woche Sponsorentermine und weiß nicht, was er denen sagen soll! Bekommt man mal einen potenziellen Sponsor ins Stadion, dann hört der „Wildmoser raus“- Rufe, erlebt noch eine Niederlage, dann fragt der natürlich: Was haben Sie mir da eigentlich erzählt von Ihrer schönen Sechzger-Familie?
SZ: Am Sonntag ist Mitgliederversammlung, was erzählen Sie den Leuten?
Wildmoser: Wir haben sie extra auf Sonntagmittag gelegt, vor das Heimspiel gegen Stuttgart, weil Montagabend, wenn alle nochmal anreisen mussten, immer so eine schlechte Stimmung war. Jetzt haben wir also Sonntag – und erst recht Drecksstimmung. Ich werde mir meine Worte überlegen, ich werde sagen, dass wir noch Tabellen-Achter sind, dass es zehn hinter uns gibt, denen der Schweiß mehr auf der Stirn steht als uns.
Interview: Volker Kreisl und Ludger Schulze
www.sueddeutsche.de