David Beckham verrät den Fußball - Rede eines Fans

  • "David Beckham verrät den Fußball"


    Wütende Abschiedsrede eines enttäuschten Fans auf die alten Manchester-Tugenden/ Von Daniel Harding


    von Daniel Harding



    "Beckham ist im Moment kein Vorbild"


    Ich will David Beckham nicht unbedingt beleidigen - aber er steht für alles, was im Augenblick im Fußball schlecht ist. Er war das, was dieses Manchester United Team so einzigartig machte. Es waren Jungs einer Generation, die da zusammenkamen, die alle aus Manchester stammten, keine zwanzig Minuten voneinander weg wohnten. Sie waren ganz und gar dem Verein ergeben. Das ist heute vorbei. Die Vereine sind internationale Unternehmen, sie heuern an und feuern wieder.



    Zehn Jahre lang, war Manchester eine echte Mannschaft, mit der wir Fans uns identifizieren konnten. Es gab natürlich auch schon eine tolle Vereinsgeschichte, aber diese damals noch sehr grünen Jungs haben sie glorios erneuert. Und sie waren auch das Zentrum der englischen Nationalmannschaft. Das machte sie so geschlossen, deshalb waren sie während der ganzen neunziger Jahre die Besten in Europa.



    David Beckham war unter den Besten der König. Ein Phänomen, das ist seinen Grundzügen niemals planbar ist. Er ist nicht in der Klasse von Maradona, aber ein wunderbarer Spieler. Er heiratete jemand unglaublich Berühmtes, er sieht sehr gut aus. Diese Kombination ist einfach magisch. Und später haben natürlich eine Menge Leute sehr hart daran gearbeitet, dass er erfolgreich und berühmt wurde. Daran zerbrach die Mannschaft. Auch die anderen versuchten Alleingänge wie Beckham, aber Beckham war der erste, der erfolgreichste und der glamouröseste. Irgendwann spielte in dem ganzen Rummel der Fußball nur noch eine untergeordnete Rolle. Die Fans, die Mitspieler und auch die Manager haben irgendwann gemerkt, dass diese ganze Rollende Beckham Roadshow längst das Eigentliche war. Auch wenn das alles nur Boulevard-Mist war, die Dinge liefen aus dem Ruder. Dabei war es der Erfolg von Manchester, dass man nicht größenwahnsinnig geworden war, dass man ein wirkliches Team war, das füreinander spielte. Das war jetzt alles außer Kontrolle, weil ein einziger beständig Schlagzeilen produzierte.



    Beckham wollte auf eine immer größere Bühne. Das war erst einmal die englische Mannschaft. Das mochten die Fans gar nicht. Die sind in dieser Beziehung immer sehr unpatriotisch gewesen. Erst kommt Manchester, dann die Nation. Ich gestehe, ich denke auch so. Doch für die englische Presse war das natürlich ein gefundenes Fressen. Zu Hause haben ihn die Mannschaft, die Trainer und die Fans geschützt, aber die Journalisten haben sich auf ihn gestützt und ihn mindestens ein Jahr genauso brutal verfolgt wie einst Diana. Als er dann genervt abhaute, hat ihn die gleiche Presse wieder fertig gemacht, aber diesmal aus den umgekehrten Gründen. Er stand da, hat gesagt, das ist mein Land, das ist mein Verein, den werde ich niemals verlassen - und ein paar Tage später hat er bei Real Madrid unterschrieben. Und wir waren alle so enttäuscht. Jeder lügt im Fußball, so ist das eben heute, seit es Big Business geworden ist.



    Doch auf längere Hinsicht gesehen ist es vielleicht besser für die Mannschaft. Für Manchester United war es jedenfalls ein Moment, aus dem Zirkus wieder auszusteigen. Andere werden nachfolgen, vielleicht wird doch noch mal ein weniger verrückter Neuanfang möglich sein.



    Für Beckham ist es freilich nur noch schlimmer geworden. Vor seiner angeblichen Affäre war er bei uns ziemlich aus den Nachrichten verschwunden. Aber anderswo? Es wird gerne über Fußballer-Gagen zu diskutieren. Wir sollten ihm das Geld gönnen, weil er es verdient, wenn wir sehen, wie viele daran mitverdienen, und wie viel er mit T-Shirt-Verkäufen, Eintrittskarten, TV-Rechten, Lizenzen in die Clubkasse schwemmt.



    Doch eine Diskussion über den Fußballer als Nagellackbenutzer, Frisurenwechsler, Metrosexuellen? Das finde ich überspannt. Schließlich ist Fußball immer noch ein Arbeitersport. Und jedes Kind spielt. Schön, die Intellektuellen wollen auch daran teilhaben, beobachten alles phänomenologisch. Fußball ist plötzlich so modisch. Was aber denkt ein Arbeiter über seinen Ballhelden, der plötzlich eine Mode-Ikone geworden ist, der sich nach seiner angeblichen Liebschaft wie Samson geschoren zeigt?



    Die inzwischen unpopuläre, gehasste Victoria Beckham wollte ja angeblich bemitleidenswert erscheinen und hat deshalb die angebliche Affäre und den Skandal darum nur inszeniert. So weit gehen inzwischen die wahnwitzigen Spekulationen. Das ganze ist so lächerlich, dass alles wahr sein könnte. Und dabei ist David Beckham doch zumindest in dieser Hinsicht ein positives Rollenmodell gewesen: der Mann, dem jedes Kind nacheiferte, ist verheiratet, hat zwei Kinder, führt ein recht häusliches Leben.



    Das Geld hat alles verdorben. Ich bin gespannt, wie lange die Fans das mitmachen, wenn immer mehr auch die Qualität des Spiels darunter leidet. Die großen Vereine sind heute international starke Marken, sie stehen in einem Wettbewerb mit anderen Unternehmen. Wo bleibt da der Sport? Ich mochte David Beckham. Er war das öffentliche Gesicht meines Vereins, als er noch eine wirklich idealistische Sache war: Elf Jungs, die sich als Gruppe einander verschrieben hatten, ihrem Trainer und ihrem Klub. Und so wurden sie die berühmteste Mannschaft in der englischen Fußballgeschichte. Damals war alles noch so wahr! Heute ist er das Gesicht für Glamour und Gier. Es steht mir nicht wirklich an, ihn dafür zu kritisieren. Ich habe ein signiertes Foto von ihm mit meiner kleine Tochter Adèle, das über ihrem Bett hing. Wir haben es vorerst aus ihrem Zimmer entfernt. Denn David Beckham ist für sie augenblicklich kein Vorbild mehr. Er ist nämlich ein Verräter. Ich frage mich, was wird sein, wenn sie zwanzig ist? Wird sie dann noch wissen wer David Beckham war?



    Artikel erschienen am 12. Juni 2004 in der "Welt"

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